Dem Fachmann ist es ein wenig peinlich, der Bau-Laie strahlt beim Erzählen übers ganze Gesicht: Eine Fahrradlampe, die man nach wenigen Minuten Betrieb mit der Hand immer und immer wieder ankurbeln muss, damit sie weiter brennt, ist eines der wichtigsten Utensilien, die Bürger Ralf-Detlef Kohl und „Bauhütte“-Chef Olav Petersen im Dezember benötigten, um die Apostelhaus-Ruine in der Lindenauer Apostelstraße vor dem Verfall zu retten. Ein Generator wäre zu schwer gewesen und hätte in der Bauruine ohne intakte Zwischenetage keinen sicheren Halt finden können.
Unglaublich, ein wahres Neujahrs-Märchen: Das letzte von zwölf ca. 250 Jahre alten Apostelhäusern im ehemaligen Rittergut ist tatsächlich winter- und sturmsicher eingepackt und stellt nun keine Gefahr mehr für den angrenzenden Kinderspielplatz dar (Hallo! berichtete im vergangenen Sommer exklusiv). Das Haus, als heutiges Leipziger Unikat im „Arme-Leute-Baustil“ mit hohem Seitengiebel und einen im 1. Stock extrem steilen Dachstuhl von 80 Grad zur damals optimalen Wohnraumnutzung erbaut – der Kelch des Abrisses scheint nach derzeitigem Sachstand an Kohl und dem Bauhütte-Team vorbeigehen zu können.
„Ich hätte sofort und ohne Gegenleistung die Summe von 23.500 Euro aus dem Bundesprogramm Aufbau Ost für den Abriss bekommen können. Es ist unglaublich. 90 Prozent der sächsischen Maßnahmen aus diesem Fördertopf werden für Abrissmaßnahmen verwendet, lediglich zehn Prozent kommen tatsächlichen Rekonstruktionsarbeiten zugute“, schüttelt Kohl den Kopf. Zusammen mit „Bausubstanzretter“ Petersen schaltete er auf stur. Aberwitziges folgte: Bauhütte-üblich sprach Petersen vier Jugendliche auf der Straße an, die in den Augen von Otto-Normalbürger vorschnell als „Kiez-Assis“ gebrandmarkt werden: Arbeitslos, schlechte Manieren, erdiger Körpergeruch. Petersen schaffte es, die jungen Kerle zur Mitarbeit bei der Beräumung von fünf Tonnen Bauschutt aus dem Haus zu bewegen. Gratis. Als die Kirchenglocken um 18 Uhr läuteten, lockten Feierabend und für jeden ein Bier.
Besitzer Kohl redet seit Sommer eindringlich auf Oberbürgermeister und Baubürgermeister ein, Zimmermann Petersen letztmals im November intensiv auf den Baubürgermeister. Mit Erfolg. Leipziger und Dresdner Denkmalschützer inspizierten im Herbst das Objekt und bescheinigten ihm Gefahrenlosigkeit und Sanierungsfähigkeit. Doch Fördermittel zum Wiederaufbau? Fehlanzeige. Mit klammen Fingern half Ralf-Detlef Kohl bei der Dacheindeckung mit ursprünglichen und gebrauchten Schindeln. Am 23. Dezember war alles dicht. „Es war mein schönstes Weihnachtsgeschenk.“
Das Apostelhaus entwickelt Eigendynamik. Zur Lindenauer Nacht möchte Olav Petersen am 1. März ein intaktes Haus-Modell im Maßstab 1:5 präsentieren. Das Team der Leipziger Buchmesse prüft derzeit, ob das 1. Obergeschoss als Veranstaltungsort für eine Buchlesung taugt. Der Besitzer müsste dafür auch nicht mehr an der Fahrradlampe kurbeln.
Andreas Krüger, Hallo!, “Sicherung mit Fahrradlampe – kein Abriss des Lindenauer Apostelhauses”, Seite 6, 5.1.2008