Das kleine Apostelhaus stellt sich vor

Klein aber oho ist das Apostelhaus in der Leipziger Apostelstraße 20 im Ortsteil Altlindenau. Mit seinen knapp 60 qm Wohnfläche und seinen 1,5 Geschossen steht es nun schon seit 1740. Das kleine Apostelhaus ist urpsrünglich ein Gesindehaus. 

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Was ist ein Gesindehaus?

Das Gesinde übersetzt man mit ‚die Leute‘. Es ist ein Sammelbegriff für die Menschen, welche früher zu häuslichen Arbeitsleistungen verpflichtetet waren. Im Grunde handelt es sich also um Dienstboten eines Grund- oder Gutsherrn. Die Arbeit als Magd oder Knecht begann oft schon mit dem 12. Lebensjahr. Spätestens, wenn die Magd und der Knecht eine Ehe eingingen, war es entweder möglich, dass sie:

  1. auf dem Hof des Herrn blieben und dort ein Gesindehaus bzw. eine Gesindewohnung anmieteten bzw. bezogen
  2. oder, dass sie den Hof des Arbeitgebers verlassen mussten, um sich eine neue Anstellung und Bleibe zu suchen

Das kleine Apostelhaus diente also mit großer Wahrscheinlichkeit als Wohnung für eine Ehepaar mit seinen Kindern im Dorf Lindenau, welches 1891 nach Leipzig eingemeindet wurde. Bis dahin hat Lindenau eine bewegte Geschichte. Seine Bewohner lebten vor allem vom Ackerbau, Viehzucht und teilweise von der Fischerei.

Lindenau – von damals bis heute

Das kleine Dorf Lindenau fand erstmals Erwähnung vor ca. 1000 Jahren. Gegründet wurde es von deutschen Bauern. Lindenau lag an der Via Regia und wurde von Kaiser Heinrich II. um 1021 dem Bistum Merseburg geschenkt. Die Zugehörigkeit zum Merseburger Stiftsgebiet blieb bis 1815 (Amt Lützen). Änderungen brachten die Beschlüsse des Wiener Kongresses. Während Lindenau im Königreich Sachsen verblieb, ging der Westteil des Amtes Lützen an Preußen.

Ein Rittersitz mit echten Rittern

Schon seit 1182 wurde Lindenau als Rittersitz genannt und von Ritter Dietrich von Lindenau bewohnt. Seine 2 Brüder haben das Dorf samt Rittersitz 1527 an den Leipziger Rat verkauft. Die alte Pfarrkirche existierte schon vor der Reformation. Ab 1562 war für die Gemeinde der Pfarrer von Leutzsch zuständig. Lindenau hatte in Kriegen viel auszuhalten. Ob im dreißigjährigen Krieg oder während der Völkerschlacht – Lindeau war ein umkämpftes Gebiet. Auch das kleine Apostelhaus im Dorf Lindenau hat um 1813 zur Völkerschlacht was abbekommen. Mehrere Einschläge von Kanonenkugeln sind dokumentiert.

Lindenau während der Industrialisierung

Vom Dorf zur Industriegemeinde hieß es als der Unternehmer Karl Heine sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Lindenau einkaufte. Er erschloss große Teile in und um Lindenau als Bauland. Lindenau war ab 1839 eine selbstständige Gemeinde. Nicht mal 20 Jahre später hatte der Ort ein eigenes Postamt sowie eine Gasanstalt. Lindenau und Plagwitz wurden quasi Industriegebiete. Viele Menschen siedelten sich hier an, um in den Fabriken zu arbeiten. Der immer noch existierende Heine Kanal wurde von Karl Heine angefangen zu bauen. Ebenso engagierte sich Heine beim Anschluss der Industriegebiete an die Eisenbahn. Ab 1860 – mit Einführung der Gewerbefreiheit – entwickelte sich Lindenau rasant. Große Unternehmen siedelten sich an und 1873 wurde der Bahnhof Plagwitz in Betrieb genommen. Bei der Eingemeindung (1891) nach Leipzig saßen in Lindenau schon 66 Betriebe mit über 3000 Mitarbeitern. Lindenau war vom Bauerndorf zur Boomtown der Industrie geworden. Es wurde gebaut, gebaut und nochmals gebaut. Nicht nur Fabriken sondern auch Infrastruktur, wie Straßen und Wohnungen.

Das Apostelhaus als Denkmal

Das kleine Apostelhaus feierte 2015 sein 275-jähriges Bestehen. Und damit auch eine bewegte Geschichte, die leider sehr schlecht dokumentiert ist. So wurde das Apostelhaus von den Großeltern an den Enkel vererbt. Nun wäre es möglich, dass die Kohls im Rahmen der Ahnenforschung auf einen so langen Stammbaum bis 1740 zurückblicken. Auch denkbar wäre, dass die Urururgroßeltern oder Urgroßeltern im Rahmen der Industrialisierung nach Lindenau gezogen wurden und das kleine Apostelhaus als Wohn- und Geschäftshaus für die Familie erwarben.

Fakt ist, das Apostelhaus hat historische Bedeutung und ist absolut erhaltenswert. Leider fehlen dem kleinen Haus nach 275 Jahren nicht nur einige Fenster und etwas Tapete. Es muss dringend gesichert und saniert werden. Während der jetzige Eigentümer nach der Wiedervereinigung noch darin wohnte, kam es in den nachfolgenden Jahrzehnten zu mehreren Brandanschlägen. Das Haus wurde so unbewohnbar. Die denkmalgeschützte Substanz bröckelt trotz Engagement und vielen kleinen Investitionen zusehend. Gemeinsam mit dem Amt für Denkmalschutz, einigen festen Unterstützern, Partnern und Wegbegleitern wird seit Jahren nach einem tragfähigen Konzept gesucht. Es scheitert hier nicht nur am Geld sondern vor allem an der nachfolgenden Idee bzw. dem Konzept zur weiteren Nutzung. Ein Museum, ein Treffpunkt des Handwerks, ein Tagespflege bzw. Begegnungsstätte für Senioren oder/und natürlich ein Haus zum Wohnen wäre theoretisch alles möglich. Doch aktuell ist das kleine Apostelhaus gar nicht mehr in der Lage optimistisch nach vorn zu blicken und Leuten ein Dach über dem Kopf zu bieten. Es ist erschöpft und ächzt unter dem Wind, dem Regen und den vielen Menschen, die sich unberechtigt Zutritt verschaffen. Sie klettern über Mauern und Zäune, schmierten es mehrfach mit Graffiti voll und ab und zu wird auch mal was geklaut.

Der Eigentümer Ralf Kohl hängt am kleinen Apostelhaus, wie an einem Kind. Er sieht durchaus jede Menge Potenzial und mag an Abriss oder Verkauf gar nicht denken. Doch lastet auf seinen Schultern erst einmal allein die große Aufgabe zur Erhaltung und Nutzbarmachung. Er hatte schon zig Abrissangebote mit kompletter Finanzierung – wollte aber an der Standfestigkeit des ehemaligen Familiensitzes nicht rütteln. Es soll wieder Leben ins kleine Apostelhaus – das wünscht er sich von Herzen und darum sammelt er Spenden, um die denkmalgeschützte Substanz des Hauses zu erhalten.

3 Replies to “Das kleine Apostelhaus stellt sich vor”

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